„Früher war alles besser“ heißt es oft, und dort und da mag das sogar stimmen. Aber nicht im Vertrieb. Jedenfalls nicht, was die Recherche von Neukunden betrifft. Alles, was diesbezüglich vor dem Internet lag, also 80er Jahre abwärts: Steinzeit. Alles, was nach 1994 und in den ersten Jahren von XING stattgefunden hat: Mittelalter und Aufklärung.
OK, ich fasse das vielleicht etwas grob zusammen. Aber die Entwicklungskurve der letzten Jahre verläuft deutlich exponentiell. Schon wird geunkt, dass Kaltakquise bald überhaupt nicht mehr nötig sei? Na, na, na, so weit wollen wir lieber mal nicht gehen! Nicht vor meiner Rente. :-)
Social Media hat die Vertriebsarbeit jedenfalls erheblich vereinfacht. Wurde in den 80er Jahren gegen Datenerhebungen noch weitläufig protestiert, ist es für viele heute kein Problem mehr, persönliche Daten in irgendwelche Netzwerke einzupflegen. Die informationelle Selbstbestimmung bleibt ja auch durchaus gewahrt. Hier aber ein kleines Geheimnis: An Sie hatte dabei niemand gedacht!
Nirgends stand damals ein Disclaimer, dass nach der Anmeldung bei XING irgendein Vertriebshecht vorbeischauen und irgendetwas andrehen darf, oder? Also lassen Sie das übertreiben Sie es bitte nicht. Allerdings finde ich: Ein wenig Recherche sollte nicht nur Headhuntern überlassen werden. Ein wenig Recherche hilft beiden Seiten, Zielkunden und Vertrieb, besser zueinander zu passen. Sie sollte fester Bestandteil Ihrer Telefonat-Vorbereitung sein.
XING bietet in der Premium-Version sehr gute Recherche-Möglichkeiten, um Neukunden zu identifizieren. Klicken Sie einfach in die erweiterte Suche. Der lange Suchschlitz vor dem „Suchen“-Button ist am ergiebigsten: Gesucht wird hier im gesamten Profil der Mitglieder, also auch in den „Ich suche“- oder „Ich biete“-Feldern. Hier sind somit mehr Informationen zu finden als in den einzelnen Suchfeldern. Auch frühere Arbeitgeber, als eigene Suche von XING leider kommentarlos gestrichen, werden durchsucht und angezeigt. Geben Sie Ihr gesuchtes Thema ein, zum Beispiel Contentpflege.
Zu viele Ergebnisse? Brechen Sie nun die Suchergebnisse mit einem der einzelnen Suchfelder runter, zum Beispiel mit einem Unternehmensnamen. Benutzen Sie Wildcards (Content*), wenn Ihr Begriff auch Teil eines anderen Begriffs sein kann: Oft sind sich die Mitarbeiter zum Beispiel nicht über die Rechtsform ihres Unternehmens einig :-) oder lassen diese sogar ganz weg.
Schnell die richtigen Kontakte finden
Es geht aber auch viel einfacher: Kombinieren Sie Ihr Ergebnis mit der Facettensuche auf der rechten Seite. Die Eingrenzung auf „Kontakte und deren Kontakte“ etwa gibt Ihnen Personen, die Ihre Kontakte kennen. Es lohnt sich, gut vernetzt zu sein: Wenn Ihre Kontakte in der gleichen Branche wie Sie arbeiten, können Sie annehmen, dass Sie nun genau die richtigen Kontakte sehen. Wenn sich einige Ihrer Kontakte allerdings mit fast der Hälfte von XING verknüpft haben, ist das Suchergebnis vielleicht nicht ganz so relevant.
Sie interessieren sich nur für Unternehmen? Wählen Sie in der Facettensuche unter „Beschäftigungsart“ -> „Angestellte/r“ und „Unternehmer/in“, schon sind Freiberufler und Studenten ausgeschlossen.
Nun haben Sie eine schöne Liste interessanter Personen. Wenn Sie innerhalb eines Unternehmens gesucht haben, stellen Sie manchmal fest, wie unterschiedlich die eigene Position von den einzelnen Personen wahrgenommen wird. Head of? Owner of? Chief? Principal? Senior Principal? Oder gleich VP? Executive VP? Wen nehmen?
Nehmen Sie nun ein paar Spezialbegriffe, um herauszufinden, wer eher vom Fach sein könnte. Geben Sie solche Begriffe zu den anderen in den Suchschlitz ein, den wir zuerst benutzt haben. Statt zum Beispiel CMS nehmen Sie nun mal einen Hersteller eines solchen Systems (AEM, FirstSpirit oder CoreMedia?), statt E-Commerce spezialisieren Sie sich beispielsweise auf SAP Hybris oder Shopware. Die Liste wird sofort kleiner.
Ich tendiere im Zweifel dazu, nicht unbedingt die Person zu nehmen, die dem Titel nach die höchste Position hat. Sondern zunächst lieber den, der fachlich näher dran sein könnte. Sie haben mehrere Personen pro Unternehmen gefunden, die gut passen? Kein Problem, oft ist ein Kontakt schon gar nicht mehr vor Ort oder doch nicht passend. Notieren Sie sich daher alle.
Weitere Kriterien
In meiner (Online-) Branche sind für mich Kontakte relevanter und kontaktfreudiger, die bei XING einen Premium-Account haben, erkennbar an dem grünen Quadrat neben dem Namen. Ebenso relevant sind Personen, die viele Kontakte mit mir gemeinsam haben. Schon in der Ergebnisliste der Suche ist erkennbar, ob das XING-Profil gepflegt wird — durchaus ein Hinweis, ob die Person über XING kontaktiert werden möchte.
Jetzt haben Sie also Ihre Lead-Liste erstellt. Und nun? Reinklicken, Gemeinsamkeiten finden, anmailen oder anrufen, Gemeinsamkeiten direkt ansprechen? So steht es jedenfalls in den etwas neueren Vertriebsratgebern. Ich rate davon ab; es sei denn, es wurde unter „Ich suche“ genau Ihr Angebot angegeben. Das ist natürlich eine Aufforderung, auf die Sie den Zielkunden direkt ansprechen können.
Anfassen?
Ich klicke den Kontakt nicht an, sondern starte eine Google-Suche, wenn ich mehr erfahren möchte. Sollte darunter auch das XING-Profil zu finden sein, hat Ihr Kontakt seine Informationen öffentlich gemacht. Loggen Sie sich aus und klicken Sie sich dort rein. So werden Sie nicht als Besucher des Profils registriert und kommen weniger als Stalker rüber. Ihr Anruf beim Zielkunden wird diesem rein zufällig erscheinen. Ich halte das für einen Vorteil.
Auch wenn Sie das halbe Leben des Zielkunden im Netz gefunden haben (Facebook, LinkedIn, Twitter, Instagram etc.): Nehmen Sie nur das, was der Kunde selber anspricht, von dem Sie wirklich Ahnung und zu dem Sie eine Haltung haben.
Letztere sollte natürlich nur positiv sein. ;-)